Linke Satire für ein gemeinsames Verständnis von Long- und Post-Covid
Ein Gastbeitrag von Martina Frei
Die Journalistin Martina Frei hat sich mit Christine Prayon zur Vorgeschichte ihres Bühnenprogramms “Testzentrum” unterhalten.
Die aus dem «ZDF» bekannte Kabarettistin Christine Prayon leidet an «Long Dingsbums». Sie nimmt es mit Galgenhumor.
Christine Prayon liess sich gegen Corona impfen, weil sie sonst nicht mehr hätte auftreten können. Die Veranstalter verlangten die Impfung, das Hotel, das Fernsehen … Der soziale Druck sei massiv gewesen. Ausserdem ist Prayon in ihrer Familie die Alleinverdienerin. Millionen von Fernsehzuschauerinnen und -zuschauern kennen sie als «Birte Schneider» aus der «ZDF heute-show».
Also beugte sich Prayon dem Druck, liess sich impfen – und katapultierte sich damit ins Aus. Ihre satirische Selbstdiagnose: «Irgendein Long Dingsbums». Laut medizinischem Gutachten ist es «Post Vac», also eine Erkrankung nach der Covid-Impfung.
Neun Tage nach der ersten Impfung fuhr sie im Oktober 2021 mit Herzklopfen, Herzstolpern und Herzstichen in die Notaufnahme, aus Angst vor einem Herzinfarkt. Die Herzspezialisten fanden nichts.
Drei Monate nach der Impfung mit Corona infiziert
Prayon liess sich ein zweites Mal impfen. «Die Symptome verschwanden erst nach vier bis fünf Wochen und tauchten umso stärker wieder auf, nachdem ich mich gut drei Monate später mit Covid infiziert hatte.» So beschreibt es die fiktive Kaberettistin Christine in Prayons Buch «Abwesenheitsnotiz. Long Covid, Short Story».
Zu den Herzbeschwerden, dem Druck auf der Brust und dem Engegefühl gesellten sich: «Muskelzittern. Muskelschwäche. Muskelzucken. Taubheitsgefühle. Kribbeln. Missempfindungen an Händen und Beinen. Schwindel. Blutdruckschwankungen. Innere Unruhe. Massive Schlafstörungen. Depressive Verstimmungen. Das ist die kurze Liste.»
Der Arzt habe sich damals geweigert, ihre Beschwerden nach der Impfung der zuständigen Behörde zu melden. «Seine Begründung war, dass er keine Kapazität dafür habe. Er sagte mir, wenn er die Impfschäden alle melden sollte, müsste er extra eine Person dafür anstellen», erinnert sich Prayon. Sie habe dann auf eigene Faust Meldung erstatten wollen, «aber sofort wieder aufgegeben». Zu wenig Energie einerseits, zu viele medizinische Fragen andererseits, die sie nicht beantworten konnte.
«Impfschäden sollen nicht sein»
Die Dunkelziffer an Personen, denen es ähnlich ergangen sei wie ihr, sei vermutlich weit höher als die offiziell gemeldeten Zahlen, vermutet sie aufgrund von Gesprächen mit anderen Betroffenen. Das zu thematisieren sei aber nach wie vor schwierig, da «Impfschäden nicht sein sollen.»
Vier Wochen nach der Infektion hatte Prayon noch immer Herzsymptome. Für 250 Euro erhielt sie rasch einen Termin bei einem Arzt. Diagnose: kleiner Perikarderguss, auf deutsch Flüssigkeitsansammlung im Herzbeutel.
Die Entnahme von Rückenmarks-Flüssigkeit verweigerte sie im Spital. Ärzte hatten ihr dazu geraten, weil «da irgendwelche Punkte in meinem Gehirn sind, die da nicht sein sollten. Sie können etwas bedeuten, müssen aber nicht.»
Seit 2021 kann Prayon nur reduziert arbeiten. Sie hat eine Odyssee durch Arztpraxen hinter sich, hat Tausende von Euro für unbewiesene Behandlungen ausgegeben – und macht «Long Dingsbums», wie es die Protagonistin ihres Buchs nennt, nun zum Thema ihres Kabaretts, zusammen mit der ebenfalls davon betroffenen Schauspieler-Kollegin Felicia Binger. «Es herrscht eine grosse Ratlosigkeit, was man mit diesen Patienten machen soll», sagt Prayon. Ihr Bühnenrezept lautet: «Galgenhumor».
Es bräuchte die Einsicht, dass es wichtig wäre, etwas aus der Pandemie zu lernen, findet sie. «Aber ich sehe nicht, dass das politisch gewollt ist.» Also machen Prayon und Binger das auf der Bühne. Die beiden Künstlerinnen möchten mit ihrem Publikum ins Gespräch kommen, um mit Humor und Kunst die gesellschaftliche Spaltung zu überwinden, sagt Prayon.
Die Corona-Politik werde dabei «schonungslos satirisch aufgearbeitet», schrieb das «Zeit-Magazin» und schildert eine Szene von einem Auftritt im deutschen Karlshorst: «Ganz am Ende des Abends, nach viel Applaus, steht eine ältere Frau mit weissen Haaren auf und sagt erst zögernd, dann entschlossen: ‹Mein Bruder war eines der ersten Coronaopfer, und als ich dann in der Pandemie auch noch Krebs bekam, habe ich es sehr begrüsst, dass es eine Impfung gibt.› Als dann auch jene Beifall klatschen, die sich vorher als Impfskeptiker gezeigt haben, denkt man: So könnte es funktionieren, so kommen wir vielleicht miteinander ins Gespräch.»
Krankheitsbedingt stehen Prayon und Binger weniger oft auf der Bühne, als sie gern würden – sofern sie überhaupt Veranstalter finden. «Das Thema ist durch», bekomme sie immer wieder zu hören. «Aber wenn wir irgendwo auftreten, ist der Saal immer voll.» Bei den Veranstaltern scheinen diffuse Berührungsängste mit «Long Dingsbums» eine Rolle zu spielen, so Prayons Eindruck.
Die «Applausschuld»
Die Künstlerin wurde auch sozial ins Aus katapultiert. Prayon, die seit 20 Jahren linkes Kabarett macht – gegen den Kapitalismus, gegen die Mächtigen –, erhielt zeitweise auch Beifall von der AfD. Als sie 2022 nach elf Jahren beim «ZDF» den Bettel hinwarf, weil sie mit der «Stimmungsmache gegen Andersdenkende» und der «Diskursverengung» nicht einverstanden war, zollte ihr der medienpolitische AfD-Fraktionssprecher Respekt. Vielen Linken dagegen gilt Prayon seither als «umstritten».
«Eine wirkliche Corona-Aufarbeitung findet nicht statt. In den Talkshows, die sich damit befassen, sitzen die gleichen Leute, die dafür verantwortlich waren, wie es gelaufen ist. Soll ich etwas, das kritisiert gehört, nicht sagen, weil ich mir damit eine ‹Applausschuld› auflade?», fragt sie rhetorisch und fügt an: «Wenn es nicht so beängstigend wäre, könnte ich dem auch etwas Komisches abgewinnen.»
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*Christine Prayon und Felicia Bunger treten am kommenden Sonntag von 16 bis 18 Uhr im Volkshaus Zürich (Weisser Saal) auf. Der Eintritt ist frei, es gibt eine Kollekte. Anmeldung nicht erforderlich. Tags darauf gastieren beide mit dem Programm «Testzentrum» im Konservi Seon.