Was eine zukünftige Bürgerbewegung besser machen könnte
Ein Kommentar von Manuel
Wie gestaltet man eine Bürgerbewegung und deren Forderungen möglichst unattraktiv, damit sie beim Grossteil der Bevölkerung auf Ablehnung stösst?
Nun, eine Möglichkeit wäre sicher damit zu beginnen, demokratiefeindlichen und rassistisch-ethnozentristischen Akteuren und deren Botschaften in der Bewegung Raum zu geben oder diese dort selbst einzubringen. Doch wie verleitet man eine Bewegung dazu, die sich aus allen Gesellschaftsschichten gleichermassen zusammensetzt, solch extremes Gedankengut in den eigenen Reihen zu tolerieren? Was sind die Mechanismen, die diese Selbstsabotage ermöglichen?
In den Jahren während der Pandemie habe ich öfters mal in den Chats der MassnahmenkritikerInnen mitdiskutiert. Rückblickend betrachtet war diese Zeit auch sehr lehrreich für mich. Äusserst interessant fand ich, wie sich in den Köpfen der Aktivisten und Aktivistinnen, die während der Pandemiezeit auf die Strasse gegangen sind, gewisse Narrative und Ideen, sogenannte Mems (engl.: Memes), verbreitet und verfestigt haben.
«Mem», bitte was?
Ein Mem steht für einen Gedanken oder eine Idee als eine einzelne messbare Einheit. Der Begriff entspringt dem Forschungsgebiet der Memetik, welches die Entstehung und Verbreitung von kulturellen Verhaltensweisen, Überzeugungen und jeglichen geistigen Konzepten erforscht. Erstmals beschrieben von Richard Dawkins in seinem Buch «Das egoistische Gen», fusst die Memtheorie darauf, dass sich die effektivsten Ideen durch ähnliche Selektionsprozesse durchsetzen würden wie die Gene im Laufe der Evolution.
Militärs, Geheimdienste und ihre Think Tanks scheinen ein gewisses Interesse an diesem Forschungsfeld zu haben, weil sich auf dieser Grundlage terroristische Organisationen, aber auch oppositionelle Gruppen und deren Narrative beeinflussen lassen [1]. Durch das Aufkommen von Social Media hat sich das Quantifizieren, Vorhersehen und Lenken von Meinungen nochmal massiv vereinfacht und die Memetik liefert den nötigen Kompass durch die Katakomben unseres Sozialverhaltens. Man könnte die Anwendung dieses Forschungsfelds zum Beispiel in Project Social Sim vermuten, einem Projekt der militärischen Forschungseinrichtung namens DARPA.
Während also ein einzelnes Mem für eine Idee, eine bestimmte Überzeugung oder ein geistiges Konzept steht, bezeichnet der Memplex sozusagen die Dachgruppe mehrerer verwandter Memen. Um bei der militärischen Perspektive zu bleiben, könnte man beispielsweise den radikalen Islamismus als einen Memplex bezeichnen, unter dem sich dann dazugehörige Memen wie das Märtyrertum, die Scharia, der heilige Krieg usw. vereinen.
In der massnahmenkritischen Bewegung konnte bereits früh beobachtet werden, dass Memen wie «nicht spalten», «Menschheitsfamilie» und «alle sind willkommen» auf diversen Bühnen der Coronademos und in deren Chats mantrahaft wiederholt wurden. Diese Slogans transportierten die Idee eines bedingungslosen Zusammenhalts. Wer das Mitmarschieren von Akteuren aus der rechtsextremen Szene an Coronademos infrage stellte, wurde nicht selten als «Spalter» bezeichnet oder mit Heuristiken wie «nicht spalten» daran erinnert, dass hier alle willkommen seien.
Doch wodurch erlangte das Mem «nicht spalten» eine so hohe Wirkungskraft und warum dominiert es bis heute, in diesem Selektionskampf der Ideen, die Köpfe der MassnahmenkritikerInnen? Ich vermute, Folgendes hat dies begünstigt: Die kollektive Erfahrung eines übergriffigen Staates, der die Bevölkerung in 2 Lager teilte (solidarische Geimpfte/unsolidarische Ungeimpfte), beschwor unter den Menschen, die sich dadurch stigmatisiert fühlten, eine Art Gegenreaktion herauf. Durch den teils traumatisierenden Ausschluss aus der Gesellschaft erstarkte der Wunsch nach Zusammenhalt und Gemeinschaft, was schlussendlich zu einer Art blindem Tribalismus führte oder einfacher ausgedrückt, in bedingungsloser Stammeszugehörigkeit.
Diese stark verbreiteten Memen legten schlussendlich den Nährboden für einen Schulterschluss mit extremistischen Kräften. Sie wurden oft und gerne als Einfallstor und Anknüpfungspunkt von InfluencerInnen vom rechten Rand genutzt und dienten als eine Art semantischer Trojaner. Auf der Suche nach einem neuen «Wir»-Gefühl wurde Kritik an neonazistischen und rechtsextremen Gruppen somit als störend wahrgenommen. Das Meme «nicht spalten» überwog mehr, als der unbequeme Schritt zur nötigen Selbstreflexion bezüglich rechter Unterwanderung in den neu gewonnenen sozialen Ersatzstrukturen, die sich aus der Bewegung herauskondensiert haben.
In der Memetik könnte man dies als ein auto-toxisches Mem oder auch ein selbstlimitierendes Mem bezeichnen. Dies bedeutet, dass eine Idee oder eine Überzeugung ihrer Anhängerschaft (Hosts) schadet. Die Replikation wie auch die Weitergabe ihrer Argumente und Ansichten wird dadurch im fortlaufenden Evolutionsprozess der Memen reduziert oder verhindert.
Interessanterweise wurde der Widerspruch zwischen der oft verlautbarten Idee einer inklusiven «Menschheitsfamilie» und der exklusiven und rassistischen Forderung der Rechtsextremen nach massenhafter Abschiebung (Remigration) jener Menschen, die unter den Lockdowns oft am meisten zu leiden hatten, nicht erkannt.
Dies ist fatal, weil durch das Einsickern von rassistisch geprägten Ideen ja genau diese toxische Spaltung erst provoziert und befördert wird, vor der die Aktivisten und Aktivistinnen ständig warnen wollen. Ein allseits bekannter abgewiesener Kunststudent aus Österreich wusste nämlich schon damals in den 30er-Jahren, mit welcher Strategie er den drohenden Aufstand gegen die Besitzenden verhindern und die bestehenden Herrschaftsverhältnisse in Deutschland aufrechterhalten kann: Mache den «Klassenkampf zum Rassenkampf», schrieb er in seinem berühmten Buch.
Rechtsextreme spalten und fragmentieren heute erneut die Arbeiterschicht bei Religion, Hautfarbe und Herkunft. Dies geschieht durch die AFD, die Identitäre Bewegung, das Rassemblement National, die SVP, Massvoll und die Junge Tat. Darüber hinaus wird diesem Gedankengut und Spaltpilz auch durch einige Alternativmedien ein Substrat und eine Plattform zur weiteren Verbreitung geboten.
Kann all das im Sinne einer Bürgerbewegung sein, die erfolgreich, vielfältig und anschlussfähig aufklären will?
Wohl kaum ...
Die nächste Bewegung, die von möglichst vielen Menschen gehört und verstanden werden möchte, muss sich von Anfang an gegen schädlichen Einfluss und gegen Trittbrettfahrer zu wehren wissen. Ansonsten werden ihre Argumente kaum gehört und aus bunt wird ein unattraktives Braun, welches die Gegenseite dankend zu Diffamierungszwecken und zur kategorischen Ablehnung jeglichen Dialogs verwenden wird.