Vom Geschwafel um die Remigration und dem bisher noch utopischen, jedoch vernünftigen und philanthropischen Bedürfnis nach Enteignung

Die für manche vermeintlich so selbstverständliche globale Bewegungsfreiheit ist ein sehr exklusives Recht. Es gilt für jene praktisch uneingeschränkt, die über entsprechend beachtliche finanzielle Mittel verfügen. Für alle anderen ist sie oft nicht nur in jenem Masse beschränkt, wie auch ihre finanziellen Mittel beschränkt sind, sondern auch durch rassistisch oder politisch motivierte Verfolgung, restriktive Ausreisebestimmungen und entsprechend fehlende Ausreisebewilligungen und Dokumente. Einen minimalen Ausgleich schafft hier das Asylrecht, vorausgesetzt, man kriegt die finanziellen Mittel zusammen und schafft es, sich zumindest nach irgendwo zu bewegen, wo es möglich ist, einen Asylantrag zu stellen.

Dem Recht, Asyl zu beantragen, steht jedoch grundsätzlich keine Verpflichtung von staatlicher Seite gegenüber, Asyl zu gewähren. Eingeschränkt wird dieses Recht bspw. auch durch die fragwürdige Unterscheidung der Asylgründe in politische und wirtschaftliche. Selbst absolute wirtschaftliche Perspektivlosigkeit ist kein Asylgrund, egal welche existentiellen Folgen und politischen Ursachen sie haben mag. Seit Jahrzehnten wird durch Verschärfungen des Asylrechts, ganz im Sinne der «Remigrationisten», die Möglichkeit Asyl zu erhalten, systematisch weiter erschwert bis verunmöglicht. Möglichst viele Rückschaffungen in als sicher deklarierte Drittstaaten sind das Ziel. So beabsichtigt auch die aktuelle EU-Reform des Asylsystems (Geas), Asylsuchende weiterhin beim Erstkontakt in Zentren an der Aussengrenze zu inhaftieren und die rechtlichen Hürden für Rückschaffungen durch schnellere Verfahren oder gar ohne Prüfung der Asylgründe weiter zu senken. In dieser Reform sind auch verschiedene Krisenszenarien vorgesehen, die es den Staaten erlauben ihre Grenzen ganz dicht zu machen und keine Asylgesuche mehr zu prüfen (siehe hierzu einen Artikel in der woz Nr. 5, 01.02.24, S.15-17). Das Resultat ist die fortdauernde Einteilung der Welt in verschieden streng befestigte und überwachte «Gehege» unterschiedlicher Grösse innerhalb derer Migration grundsätzlich, allerdings zu sehr unterschiedlichen Bedingungen, möglich ist.

Entsprechend der global extremen sozialen Ungleichheit, ist ein Ausbruch aus dem so geschaffenen «Reservat» für viele Menschen nur unter grossem persönlichem Aufwand und Risiko möglich, während für andere dieser Weg in beide Richtungen zwecks Urlaubs oder Geschäftsreise keinerlei Problem darstellt.

Das Kapital profitiert davon in unterschiedlicher Weise. Einerseits erlaubt die fehlende Bewegungsfreiheit der mehr oder weniger mittellosen Bevölkerungsmehrheit in den Ländern des Südens den transnationalen Konzernen, auch indirekt durch von ihnen abhängige Betriebe, die wirtschaftliche Situation der dort «Gefangenen» weiterhin auszunutzen und auszubeuten, ohne befürchten zu müssen, dass diese deswegen in allzu grosser Zahl in die falsche Richtung in Bewegung geraten. Rohstoffgewinne und der abgeschöpfte Mehrwert unzähliger Arbeitskräfte werden so weiterhin erfolgreich in den Norden transferiert. Hierzu leisten auch internationale Handels- und Freihandelsabkommen einen wichtigen Beitrag, welchen die Bewegungsfreiheit der Waren stets wichtiger als jene der Menschen ist und welche zudem die Konzerne oft vor Gewinneinbussen durch steuer-, arbeitsrechtliche oder ökologische Gesetzesänderungen auf nationaler Ebene absichern, indem sie diese, vertraglich geregelt, durch entsprechende Androhung hoher Entschädigungszahlungen oft erfolgreich verhindern. Nicht zu vergessen ist dabei die unsolidarische Steuer-, Finanz- und Handelspolitik vieler wohlhabender Staaten des Nordens. Exemplarisch dafür steht auch die Schweiz (Weitere Infos zu den Praktiken von einigen Konzernen mit Sitz in der Schweiz mit einigen spannenden Fallbeispielen sind bspw. im Buch «Rohstoff – Das gefährlichste Geschäft der Schweiz» herausgegeben von der Erklärung von Bern (2012), heute Public Eye, zu finden).

Andrerseits erhält ihnen die so geförderte globale soziale Ungleichheit stets eine grosse, sozusagen proletarische Reservearmee, plus, je nach Region, eine genügende Anzahl zunehmend spezialisierter Fachkräfte, falls in irgendeinem Bereich der hochproduktiven Zentren der Kapitalakkumulation Arbeitskräftemangel herrscht. Eine gewisse permanente Zuwanderung erhält zudem den Druck auf die einheimischen Arbeitskräfte aufrecht und ist in diesem Sinne der Arbeitsmoral förderlich, indem sie permanent vor Augen führt, dass jederzeit Leute bereitstehen, die auch bereit wären zu einem noch tieferen Lohn länger zu arbeiten.

Gleichzeitig ist es sehr praktisch, die aus diesem Druck entstehende Frustration und Wut in der arbeitenden Bevölkerung insbesondere auf einen bestimmten Teil der immigrierten Bevölkerung umzulenken, bevor sie zu Bewusstsein kommt und sich, Gott behüte, gegen die herrschenden ökonomischen Verhältnisse und ihre Vertreter*innen richten kann.

Obwohl der grösste Teil der Immigration auf Arbeitsmigration zurückzuführen ist, also auf eine Bewegung von Arbeitskräften, die direkt und indirekt vom im Norden immer stärker konzentrierten Kapital hervorgerufen und gebraucht wird, richtet sich der Unmut des am härtesten ausgebeuteten Teils der Bevölkerung oft hauptsächlich gegen jenen Teil der Immigrierten, denen das Recht auf Arbeit zu Beginn jeweils verwehrt wird. Diese Menschen, die man aus humanitären Gründen aufzunehmen sich verpflichtet hat, sind zu Beginn noch nicht Teil des Arbeitsprozesses, stellen aber bereits eine zukünftige potenzielle Bedrohung des eigenen Marktwertes dar. Gleichzeitig sind sie gezwungen, von der Arbeit anderer unterhalten zu werden. Weil bei den Sozialleistungen weiter gekürzt wird und die Lebenshaltungskosten steigen, werden Geflüchtete, deren Anteil an der Gesamtbevölkerung zudem meist weit überschätzt wird, zunehmend als Belastung und damit Ursache der eigenen unbefriedigenden sozialen Situation wahrgenommen.

Die Folgen sind zunehmende Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, welche sich letztendlich gegen alles Fremde richten und eben in dem Sinne nützlich sind, als sie von den grundsätzlichen ökonomischen Ursachen der Migration ablenken. Kräfte, welche diese Wahrnehmungen politisch und die entsprechenden Strukturen oft gleichzeitig auch ökonomisch ausnutzen, haben dadurch leichtes Spiel. So entstehen und verbreiten sich Begriffe wie bspw. derjenige der Remigration, welcher zurzeit gerade Hochkonjunktur hat. An sich eigentlich nichts Neues.

Darunter zu verstehen ist das nationalsozialistische Fernziel einer ethnischen Homogenisierung des Volkskörpers, indem alles Fremde entfernt wird. Jahrzehntelange Entwicklungen sollen so rückgängig gemacht werden. Ganz abgesehen davon, wie krank solche Vorstellungen sind, weigern sich alle dazugehörigen Wahnsinnigen, unabhängig von der Absurdität und Undurchführbarkeit solcher Ideen, den realen politischen, gesellschaftlichen, menschlichen und wirtschaftlichen Folgen eines solchen Programms ins Auge zu sehen. Dazu gehörten neben der totalen Entmenschlichung auch die geistige, kulturelle und selbstverständlich auch wirtschaftliche totale Verarmung unserer Breiten wie auch das Versinken der nördlichen Weltregionen in der geopolitischen Bedeutungslosigkeit.

Anstatt sich weiterhin auch nur im Ansatz mit solchem Nonsens wie Remigration abzugeben, fordern wir etwas anderes. Um die strukturellen Ursachen der notgetriebenen Migration und der Ausbeutung zu bekämpfen, muss die unmittelbare Hauptursache aller gegenwärtig akuten Probleme, nämlich die extreme soziale Ungleichheit bekämpft werden. Friede den Hütten! Krieg den Palästen! Bekämpfen wir die Armut und nicht die Armen, global wie auch national. Leider ist die Politik mit dem Einverständnis der Mehrheit längst dazu übergegangen, letzteres zu tun. Es braucht dringend eine Umkehr! Hier haben die Remigrations-Apologeten nämlich bereits wichtige Teilerfolge erzielt. Die Kürzungen im Sozial- und Asylwesen und die Militarisierung der Aussengrenzen Europas mitsamt Pushbacks sind mittlerweile konsensfähig. Hier wird Remigration bereits gelebt, bevor Migration wirklich stattgefunden hat. Diskussionen über die Unmenschlichkeit einer solchen Politik werden bereits bis in Teile der Linken hinein, als eher lästig und naiv wahrgenommen. Man engagiert sich mittlerweile lieber in anderen, weniger abgründigen und riskanten Themenbereichen.

Wenn wir die Armut und nicht die Armen bekämpfen wollen, braucht es radikale Veränderungen. Ohne eine radikale Bekämpfung der nationalen wie auch globalen sozialen Ungleichheit wird sich die Welt weiterhin in die falsche Richtung drehen. Dies zeigten uns auch die Ereignisse rund um Corona in einer neuen Qualität. Zum ersten Mal wurde sogar uns «Privilegierten» bewusst, was es überhaupt bedeuten kann, wenn man in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt wird. Gehen wir vernünftigerweise einmal davon aus, dass in einer Welt extremer sozialer Ungleichheit wesentliche und global wirksame politische Veränderungen schwierig sind, wenn sie nicht mindestens die Duldung oder Zustimmung der weltweiten Vermögenselite haben. Stimmen wir dem zu, wird auch eine nachhaltige und damit ressourcenschonende Entwicklung wahrscheinlich nur zu ihren Bedingungen und nach ihren Vorstellungen zu schaffen sein. Beginnen wir deshalb doch zuerst jene einzuschränken, denen zum Erhalt ihrer eigenen Position und uneingeschränkten Freiheit sehr daran gelegen ist, den grössten Teil der Menschheit an zusätzliche Einschränkungen ihrer Entfaltungs-möglichkeiten zu gewöhnen. Nicht weil es von Geburt an charakterlich verdorbene und unmoralische Menschen sind, sondern weil das herrschende kapitalistische System über extreme Kapitalakkumulation absurde Machtungleichgewichte produziert und zusammen mit der korrumpierenden Wirkung der Macht stets von neuem Menschen, aber auch Möglichkeiten und Interessen schafft, die meist nicht ungenutzt und folgenlos bleiben. Auch diese Menschen brauchen unser Mitgefühl und unsere Hilfe! Enteignen wir sie!

Um einen Anfang zu machen hier ein Diskussionsvorschlag an die etablierte Linke zwecks Wiederbelebung einer wenigstens halbwegs funktionierenden Demokratie:

Ein Privatvermögen von 100 Millionen ist genug! Der Rest gehört der Gemeinschaft! Sie soll möglichst demokratisch darüber verfügen. Es braucht ein Ende des uneingeschränkt durch den Staat geschützten Privateigentums!

Zu ergänzen wäre dies sinnvollerweise mit einer hohen und stark progressiven Erbschaftssteuer von mindestens 75 % auf die höchsten verbleibenden Vermögen.

Natürlich wären wir dadurch immer noch weit von wirklicher sozialer Gleichheit entfernt, aber es wäre ein Schritt in die andere Richtung, der eigentlich so auch von allen liberalen Befürworter*innen einer wenigstens ansatzweisen Chancengleichheit unterstützt werden müsste.

Oder, frei nach Uta Köbernick und allen, die dies möglicherweise schon vor ihr so oder so ähnlich gedacht oder gesagt haben: Helfen wir den Superreichen, (mind. teilw.) aus ihrer Aufwärtsspirale auszubrechen. Gönnen wir ihnen dieses Aussteigerprogramm.

Dass dies schwierig und auf gut organisierten und mächtigen Widerstand stossen wird, ist klar. Mit etwas Mut und Entschlossenheit wäre es aber nicht unmöglich. Dies würde uns zumindest wieder etwas Raum schaffen, um die Zukunft demokratischer und gemeinwohlorientierter zu gestalten.

von Christian Baur, Vorstand linksbuendig.ch

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