Vortrag von Jeannette Fischer: Vor dem Leben schützt uns nur der Tod. Von der Opfergesellschaft in eine Gesellschaft des Werdens

Freitag, 6. Januar 2023

  • 19 bis 21 Uhr

  • Volkshaus Zürich, Gelber Saal (Karte)

Die Angst ist eine Empfindung der Ohn(e)macht, der Wehrlosigkeit. Wer Angst verursacht, zwingt den anderen in die Knie. Es gibt keinen Grund, einen Menschen in Angst zu versetzen, ausser in der Absicht, sich Macht über ihn anzueignen. So reihe ich die Angst in einen Herrschaftsdiskurs ein und entferne sie vom gängigen Narrativ, dass wir die Angst benötigen, um der bevorstehenden Gefahr ausweichen zu können, ja, dass sie gar eine kulturelle Leistung sei. In der Angst sein bedeutet gleichsam, getrennt von uns selber und von der Welt zu sein – ein gefährlicher Zustand, der uns anfällig macht für Manipulation und Unterwerfung.

Was wir in der Umgangssprache als Angst bezeichnen, ist zudem oft eine verklärte Opferposition: Eine inszenierte Opferposition vermag einen Täter zu benennen, den wir in der Folge legitim verachten, verurteilen ja gar töten dürfen. Jeder Krieg beruht auf dieser Prämisse. Die Opferposition spaltet, sie weiss, wer die Guten und Richtigen sind und weiss sie von den Bösen zu unterscheiden. Die Opferposition ist eine äusserst aggressive Position, weil sie imstande ist, das Recht für sich zu reklamieren.

Unsere Beziehungen sind von diesen Strukturen durchsetzt – wir sind eine Opfergesellschaft – und ich plädiere dafür, diesen Diskurs zu verlassen, die Spaltungen zu unterlassen und einen intersubjektiven Diskurs zu pflegen, in dem der andere als anders als ich, als Nicht-Ich anerkannt wird. Damit schaffen wir einen Raum der heterogenen Auseinandersetzung und der Konflikte, wir schaffen einen Raum für Neugierde und Begehren, einen Raum des Werdens. Denn Leben bedeutet Wachstum, Veränderung und Lust und niemals Angst.

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